Musik des Mittelalters und der Renaissance
Seitdem in den historischen Wissenschaften
ein systematisches Quellenstudium betrieben wird, ist man es gewöhnt,
die Vergangenheit mit fassbaren Begriffen in Epochen einzuteilen und so
zu strukturieren. Bei dieser Gliederung ist man von Gemeinsamkeiten innerhalb
eines Zeitabschnittes in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Entwicklung
ausgegangen. Im kulturellen Bereich bedeutet das: gemeinsame stilistische
Merkmale in künstlerischen Äußerungen wie Malerei, Musik
und Architektur. Die Zeit von etwa 500 bis um 1500 bezeichnet man heute grob umrissen als das "Mittelalter". Wenn man alleine die Entwicklung der Architektur innerhalb dieses Zeitraumes betrachtet, so begegnet man einer Folge von Stilen. Die Karolingische, Ottonische, Romanische und Gotische Bauperiode reihen sich innerhalb dieses Zeitraumes aneinander - sie sind steingewordenes Zeugnis von der Uneinheitlichkeit und Stilvielfalt dieser Epoche – was bei einer Spanne von tausend Jahren ja auch nicht weiter verwundert. Nur haben sich diese einzelnen Bauperioden nicht etwa gleitend aus der jeweils vorhergehenden entwickelt sondern sie stehen oft im schroffen Gegensatz zueinander, wie man beispielsweise am Übergang von der romanischen zur gotischen Periode ablesen kann. Auch Malerei und Musik sind dem steten Wandel von Mode und Geschmack unterworfen. |
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Gewiss wird es eine kontinuierliche
Musiktradition unter den Menschen gegeben haben – Musik ist immer
Teil gesellschaftlichen Lebens gewesen. Doch ist von der Musik des frühen
Mittelalters nur sehr wenig überliefert. Das mag seinen Grund darin
haben, dass eine eindeutige Notenschrift erst noch erfunden werden musste
– Guido von Arezzo hatte erst nach 1000 die Idee der Notenlinie
und damit der Tonhöhenfixierung. Durchsetzen konnte sich sein System
aber erst hundert Jahre später. Parallel dazu entwickelte sich eine
Neumenschrift, durch deren Zeichen aber nur die Melodierichtung als Erinnerungshilfe
bei der Ausführung angegeben wurde. Es handelte sich um eine liturgisch
gebundene Musik für den Gebrauch in der Kirche. Aus dieser Zeit erhalten
wir die ersten Zeugnisse einer Mehrstimmigkeit. |
Mit Ausnahme der sich vereinzelt
herausbildenden Zentren u.a. in Paris, Chartres und Cambrai ist und bleibt
die Musik des Mittelalters jedoch weithin einstimmig, sieht man ab von der
vielerorts seit längerem üblichen Praxis, die eine über einem
Bordunton oder über ostinaten Wechselklängen aufgebaute, improvisatorische
Mehrstimmigkeit hat entstehen lassen. Der aus dem alten England überlieferte
„Sommerkanon“ mag dafür ein Beispiel geben. Ansonsten fehlen
uns konkrete Zeugnisse und wir sind auf Vermutungen angewiesen. So mögen etwa die paarweise miteinander instrumental musizierenden Spielleute in den prachtvollen Illustrationen zu den Cantigas de Santa Maria (12. Jh.) nicht immer im Unisono getönt haben, sondern eine improvisatorische Mehrstimmigkeit geübt haben, von der wir aber heute nichts mehr wissen. Kunstvolle, „echte“ mehrstimmige Musik, wie sie sich schließlich im 12. und 13. Jahrhundert entwickelt hat, bleibt vorerst ein Privileg des Klerus oder des höchsten Adels. Denn Mehrstimmigkeit, die über die Bordunpraxis hinausgeht, erfordert eine kompositionelle Konstruktion nach einer Theorie von Konsonanz und Dissonanz. Sie erfordert eine rhythmische Synchronisation der Einzelstimmen. Ihre Komposition ist ein intellektueller Vorgang, deren Reproduktion Schreibmaterial notwendig macht, Pergament, Schreibzeug, und die Fähigkeit, mit beidem umgehen zu können. Damit bleiben von vornherein weite Kreise der mittelalterlichen Gesellschaft von kunstvoller, mehrstimmiger Musik ausgeschlossen. Ein besonderes Kapitel der Musikgeschichte ist die relativ unabhängig von den Kathedralschulen sich entwickelnde Kunst der Troubadours an den okzidentalischen Höfen, etwas später die der Minnesänger im deutschsprachigen Raum. Wann diese Kunst der fahrenden Sänger ihren Anfang genommen hat, wissen wir nicht genau. Informiert sind wir über die zumeist dem niederen Adel zugehörigen deutschsprachigen Dichter und Sänger vor allem durch die mit prachtvoll plakativen Illustrationen ausgestattete sog. Manessische Liederhandschrift (entstanden um 1300, sie enthält aber keine Melodien). |
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Immerhin ist aus dieser Zeit, vor allem aus der Notre-Dame-Epoche, ein umfangreiches musikalisches Repertoire überliefert. Textierte Musik, die ursprünglich vokal, verschiedentlich auch instrumental oder unterstützend instrumental ausgeführt worden sein könnte. Abbildungen von Musikern mit ihren Instrumenten zeugen auch heute noch von einer regen Instrumentalmusik in dieser Zeit. Als Anhang an eine liturgische Musik hat sich ein kurzes, untextiertes, seiner Struktur nach offensichtlich instrumentales Musikstück erhalten. Wir können es als ein Beispiel einer bereits in hoher Blüte stehenden mehrstimmigen Instrumentalmusik ansehen. |
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Im Verlaufe des 14. Jahrhunderts ändern sich der soziologische Rahmen der Musik und damit die musikalische Mode grundlegend. Die Musiktheoretiker der Zeit, wie Philip de Vitry (1291-1361) sprechen von einer „Ars nova“, also einer neuen Kunst in der Musik. Die alte Modalnotation bedeutete für den veränderten Musikstil eine Einengung, es wurde eine neue, rhythmisch flexiblere Notation eingeführt. Die erstarkenden Fürstenhöfe in Norditalien und Burgund legten Wert auf eine repräsentative Hofhaltung: die Kunstmusik wurde weltlich. Musik und Dichtkunst gehörten neben der Jagd und dem Turnierspiel zu den favorisierten Unterhaltungen bei Hofe. Es etablierte sich eine kunstvolle mehrstimmige Musik, in Burgund für uns heute noch sichtbar um den Dichtermusiker Guillaume de Machaut (1300-1377), in Italien um den blinden Organisten Francesco Landini (1335-1397). Die Musik beider Komponisten wurde aufgeschrieben, verbreitete sich und fand Nachahmer. (Ex. Landini) |
Wenn man so will, kann man das Ende dieser
höfischen Epoche an der besonderen Persönlichkeit des Südtiroler
Landedelmannes Oswald von Wolkenstein (1377-1446) ablesen. Die Musik, die
er gesammelt, mit eigenen Texten versehen hat, vielleicht sogar teilweise
selbst komponierte, verweist auf die höfische, burgundische und italienische
Tradition. Sein Eintreffen auf dem Konzil zu Konstanz (1414-17) bedeutet
aber gleichzeitig die Begegnung mit einer wiederum neuen Musik (vor allem
der „englischen Singer“ mit ihren ungewohnten Terzklängen).
In der Begleitung der Konzilsteilnehmer, die aus allen Ländern des
Abendlandes herangereist waren, um über die Auflösung des Schismas,
der Kirchenspaltung zu beraten, befanden sich Musiker, Sänger und Instrumentalisten.
Die Begegnung der unterschiedlichen Musikstile markiert den Beginn einer
neuen Stilepoche. In der Folge setzt sich rasant eine neue geistesgeschichtliche Entwicklung ein, in der mit einer besonderen Hinwendung zur griechisch-römischen Antike durch den Humanismus die mittelalterliche Scholastik abgelöst wurde – ein Umsturz in den bildenden Künsten, der Literatur und der Musik, die alle einen zunehmenden weltlichen Anteil und Charakter erhielten. |
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Und wieder ist die neue Musik an die bemerkenswerte
Fertigstellung eines grandiosen Bauwerkes einer wiederum neuen Zeit
geknüpft: Zur Einweihung des Domes zu Florenz 1436 schrieb Guillaume
Dufay die Motette „Nuper rosaraum flores“. Ein Bauwerk,
das mit der genialen Kuppelkonstruktion von Brunelleschi wie kein anderes
zum Wegbereiter der Renaissance geworden ist; und dazu erklingt eine
Musik, die nicht mehr die des Mittelalter ist. |
Schon seit Ende des 14. Jahrhunderts
hielten sich reiche Städte und repräsentative Hofhaltungen professionelle
Musiker, die Trompete, Busine, Schalmei und Pommer für die „laute
Musik“, die Alta capella zu spielen hatten. Wo es eine „laute
Musik“ gab, konnte auch die „leise“ Besetzung nicht fehlen,
meist durch Saiten- und Flötenmusik repräsentiert. Beides wurde
zunehmend professionellen Musikern übertragen. Die Hofkapellen unterhielten
neben ihren Sängern auch eine Anzahl Instrumentalisten – bald
hatten alle größeren – Städte ihre Stadtpfeifer, zunftmäßig
organisierte Musiker, die zu allen öffentlichen, aber gegen Honorar
auch privaten Gelegenheiten aufspielten. Aus dieser Zeit ist reichlich Notenmaterial zu allen denkbaren Gelegenheiten erhalten. Im gesamten 16. Jahrhundert überwiegt die Edition in Stimmbüchern, d.h., jede Stimme des mehrstimmigen Musikstückes ist einzeln in gesonderten Büchern notiert. Bisweilen erfolgt aber auch die Ausgabe in Chorbüchern für den Gebrauch auf einem großen Notenpult, aus dem alle gemeinsam jeweils ihre Stimme absingen oder –spielen konnten. Eine Notation in Partitur kam erst nach 1600 in Gebrauch, vor allem, nachdem sich der basso continuo als Element eines neuen Stiles und einer neuen Zeit – des Barock – durchgesetzt hatte.
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